Mick Jagger in Lünen

Wir waren ungefähr zwölf Künstlerinnen und Künstler. Am nächsten Tag würden unsere Werke in der großen städtischen Galerie ausgestellt. Direkt gegenüber befand sich unser Atelier. Ein großer alter Kasten mit hohen Wänden und viel Platz. Wir befanden uns in der Endphase der Vorbereitungen für die Vernissage.

Ohne Konzept

Wenn soviel Künstler gemeinsam eine Ausstellung planen, muss sehr viel Rücksicht genommen werden. Persönliche Eitelkeiten sind tabu. Gemeinsam abgestimmte Handlungen sind das Gebot der Stunde. Wir waren uns über das konzeptionelle Gerüst des gemeinsamen künstlerischen Auftritts schnell einig. Es sollte kein Konzept geben. Jeder macht und zeigt das, was er oder sie möchte. Die anderen entschieden sich für je ein großformatiges Bild.

Mick Jagger

Ich wollte ca. fünfzehn bis zwanzig einzelne Exponate beisteuern. Diese bestanden aus unprätentiösen Materialien und Alltagsgegenständen oder Lebensmitteln, die ich einer teilweisen Umwertung unterzog. Diese Mini-Objekte wurden von mir auf und in einem zirka drei Meter hohem Gestell, ähnlich einer Vitrine präsentiert. Eigentlich eine tolle Aktion und aufmerksamkeitsstark, dachte ich. Doch als ich versuchte, das Gestell mit meinen Kunstwerken anzuheben, bewegte sich nichts. Wie aus dem Nichts stand plötzlich Mick Jagger neben mir. Komm, sagte er, ich helfe Dir. Und so versuchten wir zu zweit das Ensemble anzuheben. Leider waren Mick und ich nicht stark genug. Das Ding war einfach viel zu schwer. Bevor ich anfangen konnte, zu verzweifeln, hatte Mick Jagger die rettende Idee.

Holzstühle, Waschbecken, Kleiderständer

Hey, guck mal, da vorne steht doch so eine Art Hochregallager. Siehst Du, was da alles oben zu erkennen ist? Das könnte doch genau das Richtige für Dich sein, meinte Mick. Ich sah, dass in vier Metern Höhe sich alte Holzstühle, ein abgewetztes Sideboard, Kleiderständer, Koffer, ein altes Waschbecken und anderer Krempel stapelten. Mein Herz schlug höher. Mick Jagger bemerkte es und kam sofort mit einem Stapler um die Ecke und sagte zu mir: „Komm, steig auf, ich fahre Dich hoch und Du lädst die Klamotten auf und ich lasse Dich dann wieder runter.” Ich war total erleichtert.

Rolling Stones

Als wir fertig waren, fragte ich ihn, wo er denn auf überhaupt auf einmal herkäme? Wir spielen heute Abend bei Euch ein Konzert, meinte Mick beiläufig zu mir. Wie bitte? Ich konnte es nicht glauben. Doch, sagte Mick. Unser Manager hat mit Euren Stadtbossen einen Vertrag für ein Konzert heute Abend abgeschlossen. Sind die Rolling Stones denn nicht zu teuer? Keine Ahnung, murmelte Mick vor sich hin. Der Tour-Manager hat nur gesagt, dass Eure Stadtoberen sicher sind, dass, je höher das Minus in der Kasse ist, es umso einfacher wäre, große Events zu finanzieren.

Aldi-Tiefkühltüte

Aber sag mal, kannst Du mir mal ein, zwei Sachen von Deiner Kunst zeigen, fragte mich Mick und zeigte auf eine Aldi-Tiefkühltüte, aus der zwei Rollen Papier herauslugten und in der drei Pappschachteln steckten. Kein Problem, sagte ich und breitete die erste Leinwand 1,20 m × 1,20 m auf den Boden aus und stellte eine beigefarbene, 30 cm hohe, rechteckige Pappschachtel darauf. Die hatte ich beschriftet mit einem schwarzen Schriftzug „Kartoffelbrei“. Daneben breitete ich die zweite Leinwand gleicher Größe aus und stellte zwei beigefarbene Pappschachteln mit zweimal Kartoffelbrei-Schriftzug nebeneinander.

Generationenkonflikt

Und was ist das jetzt? Fragte Mick. Das ist ein Doppel-Objekt. Gesamttitel lautet:
Generationenkonflikt. Das erste Teilobjekt nenne ich „Letzte Generation“ und das mit den zwei Kartoffelbrei-Schachteln heißt „Allerletzte Generation“.  Mick grinste breit und meinte, das sei ziemlich cool.

Hundert Wasser

Und wofür sind die ganzen Gläser, Alter? Das sind hundert einfache Wassergläser, Mick. Die stelle ich im Abstand von 10 cm hintereinander auf. Dafür nehme ich wahrscheinlich ein paar Tapeziertische. Die Gläser befülle ich dann mit einfachem Leitungswasser, fertig. Jetzt rate mal, wie ich das nenne, Mick? Es heißt ganz einfach Hundert Wasser. Und das Kunstpublikum überlegt: Hundertwasser? Das war doch der Künstler. Und dann fangen die Rädchen im Oberstübchen ihre Arbeit an. Manche denken, was ist das für ein Quatsch, andere lachen, wieder andere staunen, oder merken an, dass die Kunst von Hundertwasser doch ganz anders aussähe, und, und, und. Da kommt dann ein bisschen in Bewegung.

Drugs and Rock’n’ Roll

Geil, Alter, meinte Mick Jagger. Ich muss jetzt los zum Proben für heute Abend. Morgen zu Eurer Ausstellung bin ich da. Vielleicht bringe ich noch Keith mit. Wo übernachtet Ihr denn? Hier gleich nebenan im Hotel. Haben zwei Etagen gemietet. Wir haben mit dem Hotelier gesprochen. Er hat nichts dagegen, dass wir eine Etage komplett verwüsten. Wir müssen mal wieder ein bisschen für unser Image tun. Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll, Du verstehst. Zahlt ja die Versicherung. Kann das Hotel nach unserem Abgang sich wieder etwas aufhübschen.

Es ist 5:30 Uhr. Ich wache auf und muss pinkeln …

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