In der letzten Ratssitzung des Jahres ging es um den Haushalt 2020. Diese war für den 12.12.2019 angesetzt. Als Höhepunkt gelten die Generalde-batten der Ratsfraktionen über das abgelaufene Jahr und kommende Herausforderungen.
Der erste Punkt ging an den Bürgermeister, der sich offenbar von Nenas Hit „99 Luft-ballons“ inspirieren ließ und freudig 99 Tagesordnungspunkte aufrief. Aus diesem Grund lud er den Rat schon um 11:00 Uhr ein.
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Das rief sofort die CDU auf den Plan, die mittelschwere Bedenken anmeldete, weil man sich große Sorgen mache, dass die Teilhabe der Öffentlichkeit gefährdet sei. Das über-rascht, denn Verwaltung und alle Ratsfraktionen sehen die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger überhaupt nicht gefährdet, wenn es heißt: Bürger – bitte draußen bleiben, wir kommen jetzt zum nicht öffentlichen Teil der Sitzung.
1:0 für uns!
Ich habe durchgezählt: Auf der sehr gut besuchten Zuschauertribüne waren wir zu Beginn 45. Der Bürgermeister fragte ab, wer aus den Fraktionen fehlte. 16 von 54 Ratsmitgliedern waren entweder krank oder wollten später kommen. Eine neue Variante der Fraktions-disziplin. Wir halten fest: 45 interessierte Bürger auf der Tribüne, 38 Ratsmitglieder im Saal: 1:0 für uns hier oben!
Gute Vorbereitung ist die halbe Miete
Die Fraktionen kommentieren den Haushalt. Ausgaben, Einnahmen, Investitionen, Einsparungen, Zielkonflikte, schlüssige Argumente, stimmen dem Haushalt zu, oder nicht. Die haushaltspolitischen Sprecher der Parteien nehmen eine herausragende Rolle ein. Eine gute Vorbereitung ist die halbe Miete. Soweit die Theorie. Wir rollen das Feld der Haushaltsreden von hinten auf.
Die Linke
Die Regie sieht vor, dass die Linke, als letzte der Fraktionen, sprechen darf. Man hatte sich etwas ganz besonderes ausgedacht. Gähnende Leere am Rednerpult. Keiner da. Die haben sich selbst und ihr Publikum einfach mal links liegen lassen. Wenn das keine Wahlwerbung ist …
Freie Wähler/Piraten
Überaus gelungen auch der Auftritt der Fraktion Piraten/Freie Wähler. Statements, wie man sie von Freigeistern und Seeräubern erwartet – Fehlanzeige. Ein laues Lüftchen wehte durch den Ratssaal. Dem Kämmerer und der Verwaltung wurde sogar für hervorragende Arbeit gedankt. Die Piratenbraut zeigte sich hocherfreut, die maximale Redezeit von 10 Minuten um 6 Minuten unterboten zu haben. Landesrekord!
FDP
Die FDP war sicher, dass das positive Ergebnis 2020 noch besser ausgefallen wäre, wenn die Verwaltung sich nicht dermaßen aufgebläht hätte und verwies dabei auf das Parkinsonsche Gesetz.
40 Prozent mehr Stellen in der Verwaltung seit 2014 und haben die Bürger dafür besseren Service erhalten? Eigentlich eine gute Frage. Eine Antwort will der FDP-Büttenredner gar nicht haben, denn im nächsten Atemzug moniert er den zweiein-halbjährigen Planungsprozess der Mercedes-Fläche. Tja, das war’s auch schon von der FDP. 11 Minuten heiße Luft.
Bündnis90/Die Grünen
Wenigstens die Öko-Fraktion lehnte den Haushalt ab. Die Grünen sind die neuen Piraten. Aus den Reihen der anderen Fraktionen hört man leicht verächtliches, wie: „Ihr lehnt ja immer ab“. Als der Öko-Chef sich erboste, dass der Haushalt 2019 nach vier Monaten um 20 Prozent gekürzt wurde, verließ der Kämmerer leicht kopf-schüttelnd den Saal. Grandios. Vermutlich hat er an einem Schauspiel-Crash-Kurs für Finanziers der VHS teilgenommen. Einem Haushalt, der mittlerweile 400 Millionen Euro Schulden groß ist, stimme man nicht zu und außerdem mache der Rat zu wenig und habe seine Gestaltungsmöglichkeiten aufgegeben.
CDU
Die CDU hat sich neu aufgestellt. Wir sind gespannt auf den neuen Fraktionsvorsitzenden. Er auf sich selbst auch. In einem Ratgeber für neue Fraktionsvorsitzende wird er gelesen haben, dass es gut ankommt und die Gegner einschüchtert, wenn man vor etwas warnt. Da tut er auch und warnt diejenigen, die nicht fair sind. Kollektives Zittern stellt sich nicht ein. Und dann müssen sich alle auf sachlich harte Auseinandersetzungen mit ihm einstel-len. Uns gefriert das Blut in den Adern.
Ein paar Fakten hat man ihm auch noch aufgeschrieben. Lünen soll als Bildungs-standort in aller Munde sein. Gott sei Dank hat er das Jahr nicht genannt, wann das sein soll. Weitere Fakten des Neuen im schwarzen Dienstanzug: Klimanotstand ist wilder Aktionismus, die überflüssige Bürgerinitiative „Rettet den Kleinbecker Park“ hat die GFL angeschoben. Zwischenruf aus den Reihen der GFL kontert der Neue mit: “Lassen Sie mich ausreden, Sie können hier noch was von mir lernen.” Solche markigen Worte verortete man früher eher bei Helmut Schmidt.
GFL
Die GFL hat’s echt gut, so wie die Grünen. Zur Blütezeit der Derivate-Geschäfte war man entweder noch nicht im Amt oder gerade mit der Zubereitung fleischloser Kantinenkost für Deutschlands Kasernen beschäftigt. SPD und CDU haben den schwarzen Peter. Ist aber für die Altparteien überhaupt kein Problem. Aussitzen gehört zu den Kernkompeten-zen von Politikern. Es wird beklagt, dass weder die CDU noch die SPD die Klimanot-standszeichen der Zeit erkannt haben.
SPD
Das Beste kommt zum Schluss – die SPD. Der Chef hat was am Auge, also muss der Vize ran. Er nimmt uns mit auf eine Reise. Ich vermute durch Lünen. Lünen ist eine sichere Stadt, dank SPD, denn Sozialdemokraten haben die Ordnungspartner-schaften erfunden. Die sind so was von erfolgreich. Man möchte unbedingt noch mehr Ordnungskräfte einstellen, wahrscheinlich so lange, bis der letzte Kleinkrimi-nelle hinter Schloss und Riegel sitzt. Dann sagt die SPD noch, was wir nicht brau-chen: keine Luftschlösser und keine Leuchtturmprojekte, dafür mehr Arbeitsplätze. Donnerwetter, wer hätte das gedacht. Populismus hilft auch nicht weiter, sagt der Populist. Außerdem habe man den Eindruck, dass die Motivation der Mitarbeiter in der Verwaltung schlecht sei, da müsse sich was ändern. Was genau, nimmt er mit in sein Bettchen.
Zum Schluss
Für Erstbesucher einer Ratssitzung ist es nicht ganz einfach mit der Zuordnung der Verwaltungsspitze. Namensschilder wären vielleicht nicht schlecht. Ausnahmsweise sitzt die Gleichstellungsbeauftragte auf Augenhöhe mit den Dezernenten. Sie wird nach 25 Jahren in den Ruhestand verabschiedet. Den Blumenstrauß erhält sie vom Bürgermeister, für uns nicht sichtbar, hinter der Leinwand.
5 Kilo Haushalt
Ein Fleißkärtchen hat sich die Verwaltung wirklich verdient. Jede Fraktion plus Zuschauertribüne erhielt je ein Exemplar des Haushaltes 2020. Satte 1.441 Seiten gebunden. Ein Mann neben mir bittet seinen Freund um ein Foto mit ihm und gefühlten 5 kg Haushalt im Arm. Wunderbares Motiv für Fotofreunde.
The Winner is …
Sieger der Haushaltsreden war die SPD mit 16 min. Platz 2 ging an die CDU mit 14 min., gefolgt von der FDP mit 11 min. Auf den weiteren Plätzen folgen die Grünen und GFL, je 10 min., Piraten/Freie Wähler mit 4 min. Disqualifiziert: die Linke. Die SPD kann also doch noch gewinnen.
Zauberer
Aufseiten der Verwaltung ist der Kämmerer Champion, der David Copperfield des Haus-halts. Auf 1.441 Seiten jongliert er mit Finanzbegriffen wie Zinserträge, Aufwendungen, Kredite, Grundsteuer, Eigenkapital, ordentliche Erträge, außeror-dentliche Erträge, Transferaufwendungen, Liquide Mittel, Schlüsselzuweisungen, Abschreibungen, Kreisumlage, Knöllchen … um nur einen Bruchteil zu nennen.
Wie es geht, niemand weiß es. Er schmeißt hunderte Finanztitel in die Luft, fängt alles wieder auf, teilt es durch 8 und fertig. Und wie ein echter Zauberer, verrät auch er seine Tricks nicht.
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