Im Traum war ich zu Besuch beim Allmächtigen. Einmal im Jahr lädt er zum „Tag der offenen Wolke“ ein. Dieses Jahr war Deutschland an der Reihe. Wir wurden ausgelost. Es gab Kaffee und Kuchen aus der „Göttlichen Backstube“. Rund fünfhundert Erdbewohner, die in einem Sonderzug anreisten. Endstation war eine große Kumuluswolke. Wir stiegen aus und verteilten uns an kleinen Bistrotischen.
Schreibwettbewerb
Er war natürlich schon vor Ort und begrüßte uns von einer Bühne aus. Leider habe er feststellen müssen, dass immer weniger Menschen den Weg zu ihm in den Himmel suchen, begann er seinen kurzen Vortrag. Deshalb wolle er mehr Anreize bieten, um uns den Weg nach oben zu erleichtern. Man müsse ja mit der Zeit gehen. Wir bräuchten nur unsere vorhandenen, kreativen Potenziale wiederentdecken und ihnen neues Leben einhauchen. Dazu hatte er sich einen kleinen Schreibwettbewerb für uns ausgedacht.
Ventil, Flasche, offline, Salami, Mondschein
Eine Geschichte sei zu schreiben, in der die Wörter Ventil, Flasche, offline, Salami und Mondschein vorkommen. Die fünfzig besten Geschichten würden mit einem Gutschein im Himmel belohnt: lebenslanges, mietfreies Wohnen auf einer 160 qm Premium-Luxuswolke, natürlich barrierefrei. Kostenfreies W-LAN, Südhang-Lage, Panorama-Bad, und Anbindung an das himmlische Verkehrsnetz wären nur einige der Vorzüge, die auf uns warteten.
Und so nahm der Traum nahtlos seinen Lauf…
Ich sitze mit meiner neuen Bekanntschaft nachts an einem Baggersee. Eigentlich wollten wir zum nahe gelegenen Wäldchen fahren, an dessen Rande ein Hochsitz steht. Auf dem Weg dorthin macht mein Fahrrad schlapp. Plattfuß! Ein Loch im Reifen und das Ventil defekt. Den Rest bis zum Baggersee legen wir zu Fuß zurück, die Räder schiebend. Am See angekommen, frage ich Manuela, ob ich eine Flasche aufmachen solle. Sie möchte wissen, was ich denn dabei habe. Natürlich den Klassiker zu Beginn einer Beziehung: Schampus. Noch wage ich nicht, meinen Arm um Manuela zu legen, denn sie scheint abwartend zu sein. Um sich das anbahnende Baggersee-Techtelmechtel in kulinarische Bahnen zu lenken, biete ich leckere Salami, frisch aus dem Rucksack an.
Salami bei Mondschein?
Mit meinem Profi Schweizer-Messer schneide ich die Wurst in hauchfeine Scheiben. Besser hätte es eine Maschine auch nicht vermocht. Leider war damit der letzte Funken Romantik im Eimer. Salami bei Mondschein? Manuela guckt mich entgeistert an. Mit Dauerwurst hat noch kein Mann versucht, mein Herz zu erobern. Dann verschwand sie. Da sitze ich nun und weiß nicht mehr weiter. Mein erstes Date – ein Reinfall.
Ferdinand
Ich brauche jetzt unbedingt jemanden, der mich aufbaut, dem ich mich anvertrauen kann. Was muss ich tun, um mir eine Freundin zu angeln? Mein bester Freund heißt Ferdinand. Er ist Umweltaktivist und lehnt den Kapitalismus weitestgehend ab. Moderne Technik ist ihm suspekt. Natürlich hat er einen Laptop, neuerdings auch ein Handy. Ich schicke Ferdinand eine WhatsApp, er möge sich bitte melden. Nach zwanzig Minuten gebe ich auf. Ferdinand ist, wie so oft, offline. Am nächsten Tag treffe ich mich mit ihm und berichte von meiner verunglückten Verabredung. Ferdinand sinniert, dass eine generalstabsmäßige Planung wichtig sei. Noch einmal darüber schlafen und genau aufschreiben, was nicht so gut lief. Ferdinand ist nämlich aus Überzeugung Single.
Genaues Timing ist die halbe Miete
Und so fange ich an, den Verlauf zu rekonstruieren. Was ist wichtig, worauf muss ich achten? Zum nächsten Date fahre ich mit einem Auto! Das Risiko, dass am Auto ein Ventil platzt, tendiert gegen null. Natürlich muss das Mitternachtspicknick perfekt organisiert sein. Am wasserdichten Rucksack hat es nicht gelegen. Sollte ich statt Champagner eine Flasche Wein einpacken? Oder Bier? Ich bin unsicher. Mondschein ist natürlich gesetzt. Ohne Mondschein keine Romantik. Ohne Romantik keine Freundin. So läuft das Geschäft. Das Wetter muss ich also bei der Planung mit berücksichtigen. Gott sei Dank verfügt mein Smartphone über eine Wetter-App mit Regenradar, Gewitterwarnung und Mondschein-Prognose. Genaues Timing ist die halbe Miete.
Dornfelder und Mortadella
Etwas Kopfzerbrechen bereitet mir die Frage, was ich zu essen mitnehmen soll, falls es überhaupt zum Essen kommt und wir uns nicht schon vorher in den Armen liegen. Da hat mir die Salami, obwohl hauchfein geschnitten, das Genick gebrochen. Vielleicht nehme ich Parmaschinken mit, hat ja was Edles. Blutwurst, glaube ich, geht gar nicht. Blutwurst erzeugt den gleichen Effekt wie Salami. Woran ich noch gar nicht gedacht habe ist, dass die Wurstsorte unbedingt zum Wein passen sollte. Da bin ich total ahnungslos. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass Dornfelder und Mortadella eigentlich gut harmonieren müssten. Diese Kombination hört sich gut an.
Liliane aus Polen
Hieße die nächste vielleicht Liliane und wäre polnischer Herkunft, wäre die Auswahl des Menüs relativ einfach. Mit Krakauer und einer Flasche Wodka schmölze sie dahin. Allerdings nicht zu viel Wodka. Polinnen sollen ja extrem trinkfest sein. Und was wäre zu bedenken, wäre eine Schönheit vom Lande kurz davor, sich in mich zu verknallen? Mit einer deftigen Landjägerwurst und gut gekühlten Radler käme ich gewiss einen großen Schritt weiter. Oder doch besser Käse? Mit Käse kenne ich mich aus. Lambrusco und Gouda könnte ich probieren. Rotwein soll gut gegen Herzinfarkt sein, sagt man. Oder doch lieber Jungen Tilsiter mit Portugieser Weißherbst? Ich bin überfordert. Letztendlich entscheide ich mich für Mozzarella und Bocksbeutel.
Yvonne aus Karlsruhe
Mein zweites Date steht ins Haus. Diesmal leihe ich mir den Audi TDI von meinen Eltern. Noch darf man ja damit fahren. Etwas Eindruck schinden kann nicht schaden. Gemeldet hat sich Yvonne aus Karlsruhe. In Karlsruhe ist man Bocksbeutel gegenüber aufgeschlossen, habe ich recherchiert. Mozzarella ist ja landesweit ganz vorne dabei. Ich bin gutgelaunt. Wir fahren bis zum Waldrand und steigen aus. Es ist fast Mitternacht, als wir den Hochsitz erreichen.
Wolkenfreier Himmel und Mondschein
Yvonne gefällt diese Idee. Wir klettern nach oben. Meine Wetter-App hat präzise wolkenfreien Himmel und Mondschein vorhergesagt. Die äußeren Rahmenbedingungen stimmen also. Die Decke wird ausgebreitet und wir setzen uns so, dass wir einander gut sehen können. Vorsichtshalber habe ich ein Fernglas dabei, vielleicht kann ich ihr ja einen Hirsch zeigen. „Bist Du Jäger?“, fragt sie erstaunt. „Nein, antworte ich. Aber es wäre doch schön, wenn wir Wild beobachten könnten.“ Das scheint sie weniger zu interessieren. Das Fernglas lasse ich wieder im Rucksack verschwinden. „Möchtest Du etwas trinken und essen?“, frage ich. Sie schaut mich mit leuchtenden Augen an. „Ich habe Mozzarella-Sticks und Bocksbeutel mit.“ „Oh, lecker“, sagt sie und fragt, was denn Bocksbeutel sei. Ich nehme mein ganzes Halbwissen zusammen und erkläre ihr, dass es ein Wein sei in einer besonderen Flasche.
Bocksbeutelstreit
„Wusstest Du eigentlich, dass es mal einen Bocksbeutelstreit gab?“, frage ich Yvonne. Natürlich weiß sie es nicht. Ich erzähle ihr, dass im sogenannten Bocksbeutelstreit der Europäische Gerichtshof 1983 entschied, dass diese Flaschenform, entgegen den Wünschen der fränkischen Winzer keinen Markenschutz genießt und die festgelegten Bestimmungen in der deutschen Weinverordnung unzulässig waren, wonach nur Qualitätsweine aus Franken in Bocksbeutel-Flaschen verkauft werden durften. Dass ich diese Informationen aus dem Online-Lexikon von Wikipedia habe, verschweige ich lieber. Leider interessiert es sie nicht die Bohne. Immerhin kriege ich die Flasche, d.h. den Bocksbeutel locker entkorkt und schenke in bunte Pappbecher ein.
Stich den Buben
Auf weißen Stoffservietten lege ich die Mozzarella-Sticks und pikse Holzzahnstocher hinein. Das findet Yvonne lustig. Der drei Liter Bocksbeutel heißt „Stich den Buben“ und ist eine Riesling Spätlese. Als wir uns den ersten Schluck nehmen, merke ich, wie der Hochsitz leicht vibriert. Yvonne schaut mich ängstlich an, ich zucke mit den Schultern. Vorsichtig stehe ich auf. Ich beuge mich nach draußen und denke, mich trifft der Schlag. „Ferdinand“, rufe ich, „was willst Du denn hier mitten in der Nacht?“
Zur falschen Zeit am falschen Ort
„Du hattest mir doch von Deinem geplatzten Ventil erzählt! Das habe ich Dir repariert!“ Er lacht. Ich sehe, dass er den aufgepumpten Reifen über der Schulter hängen hat. Und den muss er mir mitten in der Nacht zum Hochsitz bringen? Irritiert gucke ich nach unten. Sonst, wenn ich ihn dringend brauche, ist er offline und nun erscheint er im denkbar ungünstigsten Moment. Hinter mir ist Yvonne auf uns aufmerksam geworden. Sie fragt mich, wer das denn sei. Meinen Erklärungsversuch wartet sie nicht mehr ab, schiebt mich beiseite und schlängelt sich an Ferdinand, der jetzt im Hochsitz neben mir steht, vorbei und steigt die Holzstufen hinab. Unten angekommen schaut sie nach oben und ruft mir zu, dass sie nicht nur auf Bocksbeutel keinen Bock mehr habe. Und weg ist sie.
Drei Liter Bocks im Beutel
Der zweite Anlauf ging somit auch voll in die Hose. Erst hatte ich kein Glück und dann kam auch noch Pech dazu. Blöder Ferdinand, aber immerhin sind wir beste Freunde. „Setz Dich hin“, sage ich zu ihm. „Es sind noch knapp drei Liter Bocks im Beutel und Mozzarella-Sticks haben wir auch noch. Da machen wir uns doch einfach mal eine schöne Hochsitz-Nacht.“ Ferdinand strahlt und meint, dass Salami vielleicht doch besser gewesen wäre. Mozzarella schmecke ja eigentlich nach nichts.
Aus der Traum
Der Traum ist hier zu Ende. Sollte der Allmächtige noch einmal auf die Idee mit den fünf Wörtern kommen, schlage ich eine Geschichte vor, in der folgende Worte vorkommen müssen: Dreirad, Krokodil, Netzstrümpfe, Schwarzwalduhr und Wertstoffhof.
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