Nach dem großen Erfolg des Zeltfestes auf dem Marktplatz legt die Verwaltung in Lünen nun nach. Mehr Bürgernähe, auch innerhalb der Mauern, ist das Zauberwort. In der kälteren Jahreszeit soll der Ratssaal, in dem das hohe Haus tagt, zu bestimmten Anlässen proppenvoll und zur Theaterbühne umfunktioniert werden. Damit das Publikum die Schauspieler besser sehen kann und ausreichend Platz ist, wurden die Sitze abgeschraubt. Die letzten Vorbereitungen für das erste Bühnenstück laufen auf Hochtouren. Wir waren bei der Generalprobe dabei.
Chor der Stadtbücherei
Bevor das Theaterstück beginnt, tritt aus besonderem Anlass der Chor der Stadtbücherei mit einem kleinen Musikstück auf. Die Premiere des neuen städtischen Leuchtturmprojekts, der Persiluhr-Passage in der Fußgängerzone steht kurz bevor und soll gebührend angekündigt werden. Kernstück ist die neue Bücherei. Unter Leitung des Dirigenten Alois Grunzmann durften wir schon die ersten zwei Strophen hören, die stark an einen Hit von Gitte aus den 60ern erinnern:
Am Sonntag will mein Süßer …
♪
Am Sonntag will mein Süßer
mit mir schmökern geh’n
wo viele Bücher steh’n
das wär’ so wunderschön
Am Sonntag radeln wir
in die Passage rein
das ist noch streng geheim
nur wir zwei ganz allein
Bühnenbild
Das Bühnenbild hat es in sich. Sieben Bäume verteilen sich auf der gesamten Fläche. Fünf graue, kreisrunde Teppiche liegen auf dem Boden und sollen wohl Kreisverkehre darstellen. Ein zehn Meter langes Damoklesschwert hängt in luftiger Höhe unter der Decke des Ratsaals. Drei Fußgängerampeln aus Pappmaché stehen zwischen den Bäumen und Kreisverkehren. Zwei Lastenräder und ein Büdchen mit Tresen, Tisch und Zapfanlage sind ebenfalls zu sehen.
Das Ensemble
Wir zählen, ohne Chor, etwa sechzig Darsteller. Das Ganze erinnert an freies Theater. Der Regisseur stellt uns eine Liste zur Verfügung und so können wir die Akteure besser zuordnen. Den Sensationsdarsteller, verkörpert von Armin Dallke, schwingt sich als Tarzan von Ast zu Ast. Ist er der Retter der Bäume? Im Drehbuch steht: Gegenpart zur Auspufflobby. Eine grün maskierte Latzhosentruppe, die sich dem Öko-Ensemble zugehörig fühlt, stürmt plötzlich auf die Bühne. Sie haben sich selbst genähte Jutesäcke über die Köpfe gestülpt und kleben sich mit Lastenrädern auf den Kreisverkehren fest.
Wer hat Angst vorm Mobilitätskonzept?
Und wer hat nun Angst vorm Mobilitätskonzept? Die Fraktion der Autoliebhaber jedenfalls nicht. Einer der Hauptdarsteller, mit Künstlernamen Uri Veller, biegt sich in drei Akten die Innenstadt zurecht, wie es ihm gefällt. Wie er das macht, ist durchaus clever. Verlegt zusammen mit PS-Kumpel Rudi Tölle, Kreisverkehre am laufenden Band. Ein geschickter Schachzug. Mit Kreisverkehren, zudem positiv in der Bevölkerung besetzt, nimmt man den Grünwesten den Wind aus den Segeln. Außerdem bauen sich Kreisverkehre schneller als Lastenfahrräder zugelassen sind. So steht es im Drehbuch.
Ampelmännchen mit Grubenlampe
In diesem kreativen Durcheinander dürfen Fußgänger natürlich nicht zu kurz kommen. Der rote Teil der Groko schlängelt sich mit Bergmannskleidung und Grubenlampe zu den aufgestellten Papp-Fußgängerampeln an den Kreisverkehren. Sie wechseln an allen Ampeln die üblichen Piktogramme gegen Ampelmännchen mit Grubenlampe aus. Eine Hommage an vergangene Zeiten und ein Zeichen, wie sehr man sich den Fußgängern verbunden fühlt.
FDP-Schänke
Am Ausgang ist ein Büdchen aus Pappmaché aufgebaut. Es trägt den Namen FDP-Schänke. Fröhliche Deutsche Pinte. Die beiden Schankwirte tragen gelbe Westen und zapfen um die Wette. Jedem der fragt, beteuern sie, dass sie nicht zu den Gelbwesten aus Frankreich gehören.
Damoklesschwert
Ein wahres Highlight hängt unter der Decke. Ein acht Meter langes Damoklesschwert. Auf ihm sitzt das Ensemble der Verwaltung. In der Mitte sitzt Ritter Sigurd, neben ihm seine Gefährten. Sie alle brauchen nichts zu sagen, nur die Beine baumeln lassen und ängstlich gucken. In die Klinge des Schwertes ist ein längeres Wort eingraviert, es lautet: Haushaltssicherungskonzept.
Zusammenfassung
Das Theaterstück ist quasi selbsterklärend. Deshalb brauchen die Schauspieler wenig Text auswendig zu lernen. Wie der Tarzan-Darsteller sich von Baum zu Baum schwingt, Uri Veller und sein Bauingenieur Töllke in Windeseile Kreisverkehre legen, die Gruppe, die in Bergmannskleidung die Ampeln neu bestückt und als Eye-Catcher sitzen, die Mannen um den Stadtritter Sigurd auf dem Schwert. Wunderbarer Anblick. Etwas verstörend wirken die zwei Lastenräder, die die Kreisverkehre blockieren. Ist das etwa die Verkehrswende?
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