Im Rheinland-Pfälzischen Andernach ist die Entstehungsgeschichte der Work-Life-Balance für Beamte bis in das 16. Jahrhundert zurückverfolgbar. In dieser Zeit galt Andernach als unruhige Stadt. Soziale Spannungen zeichneten sich vor Allem innerhalb der Verwaltung ab. Diese wurde vom Adel beherrscht. Doch die Bürgerschaft gewann zunehmend an Einfluss. Bedeutung, Renommee und Profil der Einwohner, aber auch die zu verrichtende Arbeit, wurde intensiver und anspruchsvoller.
Neuer Zeitgeist
Bürgermeister Ludwig Hillesheim, sowie der Glaser und Dichter Matthäus Creutz verkörperten diesen neuen Zeitgeist. Im Standesamt des neuen Rathauses , erbaut 1582 an der Hochstraße 52-54, kam es zu spürbarer Arbeitsüberlastung. Da auch im „Runden Turm“, dem Wahrzeichen von Andernach, Trauungen durchgeführt wurden, mussten die Standesbeamten die 400 Meter zu Fuß über die Hochstraße laufen, bogen rechts in die Kirchstraße und gingen halblinks über eine Wiese zum „Runden Turm“ hinauf.
Stempel-Geselle
Im Standesamt zu Andernach arbeiteten zwei Beamte in Vollzeit. Johann Michael Nachtsheim als Urkunds-beamter und als erster Stempel-Geselle, Egon Friedell. Bis zu drei Trauungen pro Woche durchgeführt. Egon Friedell litt unter den immensen Anforderungen als hauptamtlicher Stempler. Nicht nur die anstrengenden Laufwege zwischen den beiden Trauzimmern belasteten ihn.
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Es war die gewissenhafte Arbeit, die ihn mehr und mehr aufrieb. Den Stempel auf das Stempelkissen zu drücken, anzuhauchen und mit dosiertem Schwung auf das handgeschöpfte Büttenpapier unten rechts zu platzieren, erwies sich als extrem schwierig. Konzentration und Präzision belasteten ihn zusehends. Nicht immer gelang es ihm, den Stempel an die richtige Stelle aufzusetzen.
Strafarbeiten
Kritisch wurde es, wenn er Trauungen im „Runden Turm“ hatte. Der beschwerliche Weg erwies sich als schweißtreibend. Schnell kam er aus der Puste. Mit zittriger Hand gelang es ihm nicht immer, den Stempel so treffsicher wie gewünscht zu setzen. Dadurch verschlechterte sich das Verhältnis zu seinem Vorgesetzten. Urkundsbeamter Nachtsheim triezte ihn und belegte ihn mit Strafstempelarbeiten. Friedell fühlte sich gemobbt. Das war unter seinem Niveau. Immerhin war er Vollbeamter.
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Egon Friedell bekam allmählich Burnout. Er ließ sich krankschreiben und trat eine Reha-Maßnahme an. In den Thermalquellen Umbriens, am Lago Trasimeno, kurierte er sich aus. Sogar das Karpaltunnelsyndrom wich aus seinem rechten Handgelenk. Nach sechs Wochen Kur kehrte er gesund zurück. Glücklicherweise war sein Vorgesetzter Nachtsheim mittlerweile in den Ruhestand versetzt worden.
Ulbert von Steinkallenfels
Der Schriftgießer, Ulbert von Steinkallenfels, hatte sich auf dem zweiten Bildungsweg zum Urkundsbeamten ausbilden lassen und trat dessen Nachfolge an. Mit ihm verbesserte sich das Betriebsklima deutlich.
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Zuerst schaffte von Steinkallenfels einen Liegestuhl an. Egon Friedell hatte nun zwischen den Stempel-Terminen ausreichend Zeit zum Regenerieren. Die anstrengenden Saufgelage am Wochenende wurden Montags und Dienstags durch ausgiebiges relaxen behoben. Die erste Trauung fand meistens Mittwochs statt. Nur Donnerstags musste er seine ganze Energie abrufen, dann kamen oft zwei Paare zum Hochzeitstermin. Freitags bereitete Friedell sich auf das wohlverdiente Wochenende vor und lag im Liegestuhl.
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Leider waren im 16.Jahrhundert weder Gaslicht, Petroleumlampe noch elektrisches Licht erfunden. So konnten Beamte die Mußestunden im Liegestuhl nur bei Kerzenlicht genießen.
Liegestuhl
Erst Ende der 1880er Jahre war es möglich, für die Beamtenschaft auf breiter Basis eine ordentliche Balance zwischen Arbeit und Freizeit herzustellen. Dem Liegestuhl, das Urmöbelstück der Work-Life-Balance-Bewegung, wurde nun in allen Amtsstuben eine mannshohe Schreibtischlampe zur Seite gestellt. In den Pausen war es ab sofort möglich, die ganze Körperfläche der hart arbeitenden Staatsdiener mit einer gleichmäßigen und warmen Lichtquelle fluten zu lassen. Innerhalb kürzester Zeit strömte durch den geschundenen Körper neue Energie.
Amtsstubenausgrabungen
Archäologen des öffentlichen Dienstes haben 2013 bei Amtsstubenausgrabungen im hessischen Fulda Überreste des Liegestuhl-Schreibtischlampen-Ensembles entdeckt. Ob die positiven Effekte auf die arbeitende Bevölkerung in der freien Wirtschaft adaptierbar sind, bleibt abzuwarten. Führende Vertreter aus Politik und Wirtschaft wollten sich nach ersten regionalen Feldversuchen noch nicht äußern.
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