Bäume gehören in den Wald

4. Dezember 2019. Es war einmal ein Bürger

 

Der sorgte sich um das Klima in seinem Städtchen. Er schlug vor, an der Kurt-Schumacher-Straße 100 Bäume zu pflanzen. Diesen Vorschlag brachte er zu Papier und schickte ihn an seinen Bürgermeister. Ob sein Brief angekommen war, erfuhr er nicht, denn Eingangsbestätigungen von Vorschlägen, auch Bürgeranträge genannt, waren nicht vorgesehen.      

 

4. März 2020. Haupt- und Finanzausschuss

Bereits nach drei Monaten erschien der Antrag des Bürgers, wie von Geisterhand, auf der Tagesordnung der Ausschusssitzung im Rathaus. Im Online-Ratsportal (Ratsinformationssystem) der Stadt entdeckte er zufällig, dass sein Antrag am 4. März 2020 besprochen würde. Das Gremium, welches sich damit beschäftigte, war der Haupt- und Finanzausschuss.

Sein Antrag sah vor, auf dem Mittelstreifen des Innenstadtrings, der Kurt-Schumacher-Straße (KSS) ca. 100 Bäume zu pflanzen. Die Stadt hatte im Juli 2019 nämlich den schlimmen Klimanotstand ausgerufen. Das Bürgerlein wollte selbst einen kleinen Betrag zum Klimaschutz leisten. Er begründete seinen 100-Bäume-Antrag unter anderem mit …

… höherem Sauerstoffgehalt in der Luft, verbessertem Lärmschutz, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der zukünftigen Bebauung der ehemaligen Mercedes-Fläche, Erhöhung der Luftfeuchtigkeit, Filterung von Staub und gasförmigen Luftverunreinigungen, attraktiver Gestaltung des Straßenabschnittes und Reduzierung von Windgeschwindigkeiten.

Und dann ging es kurz und schmerzlos im Haupt- und Finanzausschuss. Kaum war der Bürgerantrag oberflächlich verlesen, landete er in zwei anderen Fachausschüssen. Offenbar war der Inhalt so komplex, dass die Ausschüsse „Sicherheit und Ordnung“ und „Stadtentwicklung und Umwelt“ damit beauftragt werden mussten. Dabei wurden die sechs Fotos, die der Bürger an der knapp zwei Kilometer langen Fahrbahn zwecks besserer, visueller Bedeutung geschossen hatte, überhaupt nicht gezeigt.

16. Juni 2020. Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt

Wegen Corona wurde die Sitzung in die Käthe-Kollwitz-Gesamtschule verlegt. Natürlich war der Schreiberling des Antrages wieder persönlich anwesend. Als laufender Punkt Nr. 35 sollte der Antrag spätabends besprochen werden. Leider hatten sich die Ausschussmitglieder bei den vorherigen Punkten ein bisschen verquatscht und kamen in üble Zeitnot. Deshalb kamen die 100 Bäume nicht mehr dran und wurden auf den 23. Juni vertagt. Traurig trottete der Schreiberling nach Hause. Nur einen Tag später machte er sich erneut auf den Weg. Der nächste Ausschuss wartete schon …

17. Juni 2020. Ausschuss für Sicherheit und Ordnung

Die Ausschuss-Mitglieder verwiesen nun darauf, dass eine Überplanung der Kurt-Schumacher-Straße beauftragt werden sollte und es deshalb nicht zielführend sei, schon jetzt einen Beschluss über 100 Bäume zu fassen. Es wurde also kein Beschluss gefasst, aber aus Höflichkeit sollte der Schreiberling wenigstens über den neuen Sachstand informiert werden. Er guckte jeden Tag voller Erwartung in den Briefkasten. Nichts. Bedauerlicherweise hatte man ihn vergessen.

23. Juni 2020. Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt

Fortsetzung der „verquatschten“ Sitzung vom 16. Juni. Man orientierte sich am Vorschlag der Verwaltung vom 17. Juni und fasste … keinen Beschluss. Der Antragssteller solle bitteschön informiert werden, so sagten die Ausschuss-Experten. Und wieder ging der schreibende Bürger leer aus.

01. Januar – 31. Dezember 2021

Ein ganzes Jahr lang passierte nichts mehr. Bürgerlein schrieb noch ein paar E-Mails an Stadtrats-Vertreter, telefonierte. Nichts. Still ruhte sein Bürgerantrag. Doch 2022 ging es plötzlich weiter.

30. März 2022. Ausschuss für Stadtentwicklung und Planung

Eine große Machbarkeitsstudie stand auf dem Programm. Dafür wurde viel, viel Geld ausgegeben. War sein kleiner Bürgerantrag mit den 100 Bäumen überhaupt noch dabei? Er wusste es nicht. Die Politik kam auf keinen grünen Zweig. Vorläufiges Ergebnis: Der Rat bevorzugte „fließenden Verkehr“ auf der Kurt-Schumacher-Straße statt die sog. Kulturinsel an die Innenstadt plus 100 Bäume anzubinden. Da hatten Umwelt, Klima, Bäume, Ästhetik und Antragssteller wieder einmal Pech gehabt.

12. April 2022.

Nun glaubte der naive Antragssteller, wenn schon die sauteuere Machbarkeitsstudie (5-stellig) vom Tisch war, könne man wenigstens etwas tun. So nahm der Schreiberling seinen ganzen Mut zusammen und schickte den Antrag ein zweites Mal zum Bürgermeister und schloss mit den Worten:

„Wenn dem Rat schon jede Fantasie für dieses Großprojekt fehlt, was spräche dagegen, wenigstens etwas zu retten und 100 Bäume an der KSS zu pflanzen? Bitte setzen Sie meinen Bürgerantrag „Pflanzung von 100 Bäumen an der KSS“ zum zweiten Mal auf die Tagesordnung. Vielen Dank.“

1. Juni 2022. Ausschuss für Umwelt, Klima und Mobilität.

So geschah es. Wieder nahm er Platz, um dem hohen Hause zu lauschen, was denn dieses Mal besprochen würde. Der große Vorgesetzte aller Bäume wusste zunächst auch nicht, warum er diesen Antrag aus dem Bürgerbüro auf seinen Schreibtisch gelegt bekommen hatte. Er (der Antrag) müsse, wenigstens aus formellen Gründen, noch einmal behandelt werden.

Sind Bäume überhaupt klimaverträglich?

In der Aussprache fragten sich die Klima-Experten der SPD, ob diese Bäume überhaupt „klimaverträglich“ seien? Der Bürger rieb sich verwundert die Augen. Das stand doch alles in seinem Antrag. Er selbst hatte mehrere Studien dazu gelesen. War er hier bei der falschen Veranstaltung? Zum Glück gab die GFL-Fraktion den Hinweis, dass Neupflanzungen technisch richtig erfolgen müssten. Das war dem Antragsteller echt peinlich. Dies hatte er in seinem Antrag leider vergessen zu erwähnen. Der große Bäume-Zampano beschloss, dass die Verwaltung den Antrag (erneut) prüfen möge. Dann sähe man weiter.

21. September 2022. Ausschuss für Umwelt, Klima und Mobilität.

Schon wieder brach ein großer Tag für 100 Bäume an, hoffte das arme Bürgerlein. Jetzt hatte sogar die Abteilung Stadtgrün geprüft und den Antrag ausdrücklich begrüßt. Die Bestandspläne der Versorgungsleitungen, Lichtsignalanlagen, der evtl. Ersatz vorhandener Bäume, et cetera, wurden erwähnt. Nach allen Betrachtungen und Berechnungen kam die Fachabteilung auf 62 Bäume. Immerhin, dachte der Bürger. Besser als nichts. Die Kosten sollten sich auf ca. 52.000 Euro belaufen.

Damit war es eigentlich klar wie Kloßbrühe, dass der Ausschuss sich der Expertise der Fachabteilung Stadtgrün anschließen würde. Doch es kam anders. Die Umwelt-, Klima- und Baum-Wissenschaftler der SPD befürchteten, dass durch soviel Bäume vielleicht ein Verkehrschaos entstehen könnte. Ein anderer Ausschüssler sorgte sich um die finanziellen Ressourcen der Stadt. Das würde Millionen kosten, fürchtete er. Aus der Klimaschutzabteilung der CDU wurde die Frage nach einem Konzept für die Zukunft aufgeworfen.

Die GFL schien unschlüssig. Zunächst pro Bäume-Antrag eingestellt, schwenkte sie schließlich um und merkte an, dass der Bürgerantrag nun doch nicht sinnig sei. Dabei warb die GFL auf Ihren Wahlplakaten zur letzten Kommunalwahl sogar mit  „Mehr Bäume. GFL wählen.“ Das verstehen nur ausgewiesene Marketing-Experten. Mehr Bäume heißt eben noch lange nicht, dass die GFL auch mehr Bäume pflanzen will. Das steht überhaupt nicht auf dem Plakat.

Bäume gehören in den Wald

Getoppt wurde die Debatte an diesem denkwürdigen 21. September durch die Freizeit-Förster der CDU. Aus den Reihen dieser ökologischen Gelehrten fiel der Satz, der dem Antragsteller endgültig die Augen öffnete: Bäume gehören in den Wald. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Wer weiß, vielleicht erreichen ja eines lieben langen Tages Bürgeranträge die Lebensdauer von Bäumen …

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5 Kommentare

  1. cherheitsgründen könne dem nicht stattgegeben werde, da Pflanzen auf Radwege überhängen könnten und dann den Verkehr gefährden würden.
    Anmerkung: Thymian wird 10 cm hoch und hängt nicht, Mauerpfeffer wird 3-5 cm hoch und steht steif aufrecht.
    Beste Grüße
    F. Angerstein

    • 8. Oktober 2022
      Antworten

      Vielen Dank für den Kommentar. Bin mir nicht sicher, ob wir beide die Kurt-Schumacher-Straße meinen. Wir hatten in dem Beitrag an Bäume und weniger an Thymian oder Mauerpfeffer auf einer Straßenlänge von 2 Kilometern gedacht. Allein schon der schattenspendende Effekt wird über das Blattwerk von Bäumen besser erzielt als durch 5 cm hohen Mauerpfeffer, auch wenn dieser aufrecht steht.

  2. Dahlke
    6. Oktober 2022
    Antworten

    Hallo die Kommentierung ist nicht ganz richtig und etwas aus dem Zusammenhang gerissen wenn Sie Lust haben können wir uns darüber gerne fachlich austauschen Baume ja aber an geeigneter Stelle meine Nummer 01737865451 ich würde mich freuen Grüße

    • 8. Oktober 2022
      Antworten

      Vielen Dank für das Telefonat, in dem Sie aus Ihrer Sicht erläuterten, warum Bäume an dieser Stelle wenig Sinn machen. Auf den ersten Blick schien das auch mir durchaus nicht unschlüssig. Daraufhin habe ich mich in diese Thematik erneut eingelesen und bin abermals zu anderen Erkenntnissen gelangt.

      Eine Studie der ETH Zürich wies zum Beispiel nach, dass sich zwei Drittel der durch Menschen verursachten CO₂-Emissionen durch das Pflanzen von Bäumen ausgleichen lassen – in Innenstädten. Das ist offenbar auch der Stadt Lünen nicht verborgen geblieben, denn Lünen hat bereits 2019 den „Klimanotstand“ ausgerufen. Müssten nun nicht langsam (endlich) Taten folgen?

      Bäume spenden Schatten und Abkühlung an heißen Sommertagen: Ein Stadtbaum bietet mit seinen vielen Blättern Schutz vor Sonne. Zudem kühlen sie durch Transpiration an heißen Tagen die Umgebung und spenden uns Feuchtigkeit. Sie sind deshalb besonders für das lokale Stadtklima von großer Bedeutung.
      Bäume sorgen für eine gute Lebensqualität in Städten, weil sie mit ihren Eigenschaften zu einem positiven Stadtklima beitragen, Straßenräume aufwerten.
      Quelle: Strategiepapier, Uni-Hamburg.

      Die von Ihnen angezweifelte Sinnhaftigkeit der Pflanzung von Bäumen an genau dieser Stelle (Kurt-Schumacher-Straße) wird auch durch diverse, andere Baumstandort-Experten widerlegt, wie z. B. durch NABU, Greenleaf oder Baumschutz. Bis heute habe ich kein einziges Papier gelesen, dass die Pflanzung von Bäumen auf innerstädtischen Straßen als komplett sinnfrei beschreibt, das Gegenteil ist der Fall. Man muss eben nur sehr genau überlegen, welche Baumart sich anbietet.

  3. Reinhard Streibel
    10. Oktober 2022
    Antworten

    Ein wunderbares Märchen, Herr Engel und leider kein Einzelfall in der Lokalpolitik!

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