Endlich wieder Wahlen. Herrlich. Wir haben das Plakatierungsverhalten der Parteien und Kandidaten untersucht. In einem Straßenabschnitt der Innenstadt. Wurde taktisch oder strategisch gehängt, gestellt und geklebt? In Corona-Zeiten werden Plakate immer wichtiger, so die Hoffnung einiger Parteien.
Ich habe einen vielbefahrenen Teil der Innenstadt zu Fuß umrundet. Ausgerüstet mit Fotohandy und Strichliste. Beginnend an der Kreuzung Kurt-Schumacher-Straße/Kamener Straße, entlang am Theater und Post über die Konrad-Adenauer-Straße, vorbei am Lippe-Bad und dann an der Aral-Tankstelle links in die Viktoriastraße zurück bis zum Start. Exakt 4 Kilometer.
Bürgermeister-Kandidaten
Jürgen Kleine-Frauns
Zunächst fällt auf, dass der amtierende Bürgermeister auf großflächige Werbung setzt. Er hängt an der Mercedes-Kreuzung am Bauzaun, den Abrissbagger im Rücken. Ob das ein gutes Omen ist? An der Einmündung zur Münster Straße setzt er sich mit seinem Bauchladen als Dreier-Ensemble in Szene. Häufig findet man Jürgen an Einmündungen, zum Beispiel der Konrad-Adenauer/Marie-Juchacz-Str. Seine Botschaft für die Wähler: „Seht her, ich biege in meine zweite Amtszeit ein“.
Rainer Schmeltzer
Große Überraschung. Auf meiner 4-Kilometer-Runde kommt Rainer Schmeltzer ziemlich selten vor. Und wenn, dann möchte er „Nah bei den Menschen“ sein. In Corona-Zeiten ein riskanter Wunsch. Kompensiert werden soll der plakatarme Rainer durch seine durchaus amüsante Idee, mit Ape durch Lünen zu düsen. Motto: „Ich grill’ die Wurst – geben Sie ihren Senf dazu!“ Rainer Schmeltzer ist das Original. Keine Kopie. Er ist einfach echt. Das sollte den Wählern als Argument reichen.
Christoph Tölle
Das Kandidaten-Nesthäkchen setzt auf Menge. In seinem Herzen ist er Vertriebsmann: Viel verkauft viel, denkt er vermutlich. Auf der gesamten Strecke zähle ich nur von der CDU und Christoph Tölle sage und schreibe 60 Plakate – Platz 1. Warum ich ihn wählen soll? Weil er der Jüngste ist? Auf Instagram postet er, für frischen Wind im Rathaus zu sorgen. Das muss nach gefühlten 200 Jahren SPD keine schlechte Idee sein. Um mehr zu erfahren, muss man die Internetseite CDU-Luenen.de oder Facebook bemühen, dort erfahre ich, dass Christoph sich für Wethmar einsetzt und neue Arbeitsplätze schaffen möchte.
Sascha Gottwald
Er zieht auf dem Ticket der „Freien Wähler“ in das Gefecht um das Bürgermeisteramt. Plakate lehnt er ab. Das sei umweltschädlich. Flyer will er schon einsetzen, die er dann im persönlichen Gespräch auf der Straße verteilt. Wer ihn wählt, verlässt sich am besten auf sein Bauchgefühl. Und das muss ja nicht schlecht sein. Es hätte ja auch niemand gedacht, dass Deutschland mit 7:1 gegen Brasilien gewinnt – in Brasilien!
Kurzzusammenfassung der BM-Kandidaten-Plakate
Argumente sind 2020 echt oldschool. Jugend und Bauchladen reichen völlig. Insgesamt habe ich 198 Plakate gezählt. Addiert für Rats- und Kreistagskandidaten. Längst nicht alle Laternenpfähle und Bäume wurden genutzt. Das ist ausbaufähig.
Das wichtigste ist, sein Plakat zu genießen, solange es hängt. Nichts anderes zählt
Platz 2 geht an die GFL. Für den Rat und Kreis Unna wurde 43 Mal plakatiert. Bevorzugt an Bäumen. Ich hab mal ganz genau hingesehen. Das ist zumindest diskussionswürdig, weil die Kabelbinder die Baumrinden einschneiden können. Aber man soll ja nicht päpstlicher sein als der Papst. Außerdem schickt die GFL als Landtagskandidaten Andreas Dahlke ins Rennen. Er besitzt ein Gartencenter. Er ist von Haus aus Baum-Sommelier. Bäume sind sein Gemüse. Ist er als Gärtner überhaupt in der richtigen Partei?
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Die FDP liegt mit 35 Plakaten auf Platz 3. Wie zu sehen ist, sind die Liberalen Plakat-technisch am Lippe-Bad mit fünf Plakaten gut aufgehängt. Am Hallenbad hätte man eher die GFL mit ihrer Seepferdchen-Nummer erwartet. Immerhin bietet die FDP Argumente. Kleine Kostprobe: Mobilität, die Bürger und das Klima weiterbringt. Weil Lünen. Das rockt. Was könnte das sein, frage ich mich. Einen Bus für jeden Bürger?
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Die Linke (26 Pappen) haben die Plakat-Hoheit über die Lippe-Brücke auf Höhe der Kurt-Schumacher-Straße übernommen. Mit einprägsamen Argumenten, wie man sie von der Linken gewohnt ist: System-Change statt Klimawandel, Solidarität statt Kapitalismus und öfter, besser, kostenlos: Bus und Bahn. Die Linken haben nur Argumente, keine Köpfe. Verkehrte Welt.
Gib jedem Plakat die Chance, das schönste seines Lebens zu werden
Den Grünen (16 Plakate) ist Lünen zu klein. Sie werben europäisch. Grün ist Heute das Morgen gestalten, heißt es auf den Großflächen. Dort sitzt ein Junge und pinselt Westeuropa grün. Lünen liegt bekanntermaßen auch in Westeuropa. Diese Taktik könnte man auch genial nennen, wenn man der Logik folgt, dass nicht Köpfe, sondern Programme wichtig sind.
Einen Landrats-Kandidaten haben sie auch: Herbert Goldmann. Er ist der richtige für den Kreis. Für welchen, sagt er nicht. Da ist sein CDU-Kontrahent, Marco Morten Pufke, geografisch leichter zuzuordnen. Bei ihm weiß ich, dass er für den Kreis Unna seinen Hut in den Ring wirft.
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Nicht übersehen haben wir Dieter God, der für die Statt-Partei in den Rat ziehen möchte. Zwei Plakate entdecken wir. Er will für ehrliche Politik sorgen. Ob dafür zwei Plakate reichen?
Alle Plakate können wahr werden, wenn wir den Mut haben, ihnen zu folgen
Der Bürgermeister verwendet überraschend viel Grün auf seiner mobilen Werbefläche. Noch mehr als die Grünen. Er kam von der SPD, ging dann zur GFL und jetzt? Bereitet er einen Wechsel zu den Grünen vor? Das wäre ein echter Coup.
Andreas Dahlke von der GFL geht als Außenseiter ins Rennen. Das weiß er auch. Seine Taktik: Feindliche Übernahme der strategisch wichtigen Brücken und Bäume. Ergo fordert die GFL auf ihren Plakaten: mehr Bäume! Jetzt wissen wir, warum. Er hat noch Plakate übrig. Die GFL muss auch einiges aufholen, denn im Lüner Rat bröckelt es bedenklich. Zwei Austritte vor Ende der Spielzeit.
Die SPD strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Getreu dem Motto, weniger ist mehr, hält man sich mit Wahlplakaten bedeckt. Kann es sein, dass das freigewordene Budget für Bratwürste draufgeht? Am häufigsten ist noch Mario Löhr, Landrats-Kandidat für den Kreis, zu sehen. Ein Teil der Waltroper Straße ist fest in seiner Hand. A. Dahlke wird es schwer haben gegen Super-Mario.
Plakate sind stille Meister der Kommunikation
Nach zwei Stunden Plakat Walking fahre ich die Runde mit dem Auto noch einmal ab. Im Vorbeifahren nehme ich ein Plakat der Linken wahr und lese: Die Linke – Zukunft verhindern.
So ist das beim Autofahren, man kriegt nur die Hälfte mit …
Das ist nicht wirklich lustig und auch nicht politisch. Das ist oberflächlich und ärgerlich … weil das Lesen des Blogs unnötig Zeit raubt.
Vielen Dank für Ihren Kommentar, lieber “Franz”. Verzeihen Sie, wenn ich etwas korrigierend eingreife. Dieser Text ist bewusst so aufgebaut, dass sachliche Information und humorvolle Interpretation eine Symbiose ergeben. An zwei Beispielen möchte ich Ihnen das erläutern. Anfangs beschreibe ich, dass die Großflächenplakate des Bürgermeisters am Bauzaun hängen, mit dem Bagger im Rücken, denn das alte Mercedes-Gebäude wird abgerissen. Ob das ein gutes Omen sei, frage ich? Diese Plakate hängen an einer stark frequentierten Kreuzung. Aufmerksamkeit ist gegeben, da es sich an Ampelkreuzungen oft staut. Gerade, weil es so perfekt scheint, kommt der Abrissbagger ins Spiel und die Situation (könnte) kippen. Da steckt doch Humor drin, lieber “Franz”. Zweites Beispiel: Zum Schluss fahre ich mit dem Auto die Strecke noch einmal ab und lese im Vorbeifahren: die Linke – Zukunft in Armut. Und weil man so schnell vorbeifährt, bekommt man nicht mit, was alles draufsteht. Richtig lautet es: die Linke – Zukunft in Armut verhindern. Das ist doch auch amüsant, finde ich. Natürlich hat der Text auch eine politische Botschaft, denn diese könnte lauten: Wäre weniger nicht mehr und welchen Nutzen bieten Wahlplakate überhaupt noch. In einem gebe ich Ihnen natürlich recht, lieber “Franz”: Der Text ist oberflächlich. Genau das war allerdings Teil des Konzepts: nicht zu tiefgründig zu sein, vielmehr leichtfüßig zu unterhalten, ohne auf Fakten zu verzichten. Sie sagen, dass es für Sie ärgerlich war, den Blog zu lesen, weil er Ihnen unnötig Zeit raube. Das ist natürlich schade. Ich möchte mich deshalb bei Ihnen erkenntlich zeigen und Ihnen die “verlorene” Zeit zurückschenken. Jetzt ist etwas Konzentration nötig. Bitte schließen Sie die Augen und halten die Hände ausgestreckt über Ihre Tastatur. Dann die Hände dreimal nacheinander ballen und wieder strecken. Jetzt blinkt neben der Taste F12 die Taste F13 rot auf Ihrem Monitor auf und sehen Sie oben rechts in einem Kästchen: Guthaben: plus fünf Minuten. Smiley. Ich wünsche Ihnen alles Gute.