30 ist das neue 50!

Blätter segeln wie in Zeitlupe von den Bäumen herab. Kein Wunder, es ist Herbst. Neu ist, dass sie jetzt bei Tempo 30 fallen und es mir deshalb auffällt. Bei Tempo 50 bin ich nicht dazu gekommen, das wahrzunehmen, was um mich herum passierte. Na ja, gefühlt waren es sicher oft  55 – 60 km/h. Man kann ja nicht ständig auf den Tacho glotzen.

 

Reschleunigung

Ich bin auf der Cappenberger Straße unterwegs. Will das neue Tempo-30 selbst testen. Wie fühlt es sich an? Los geht es an der Kreuzung Kurt-Schumacher-Str./Cappenberger Straße. Bis zum Ende der 30er Zone  „Im Holt“ (hinterm Friedhof) sind es 2400 Meter. Ich reschleunige auf die neue Höchstgeschwindigkeit 30 km/h. Reschleunigung ist die neue Beschleunigung. Um auf 30 km/h zu kommen, kann ja wohl niemand mehr  von „beschleunigen“ sprechen.

30 ist das neue 50

Nachts um 1 Uhr folgt die zweite Fahrt. Alle Ampeln sind grün. Um diese Uhrzeit benötige ich für die 2400 Meter 4 Minuten 25 Sekunden. Mit 50 km/h bräuchte ich ca. 48 Sekunden weniger. Im Durchschnitt  aller Messungen werden 2 Sekunden mehr benötigt, wenn man auf 100 Meter mit 30 km/h, statt mit 50 km/h fährt. Sagt das Umweltbundesamt.

Entschleunigung auf vier Rädern

Mir gefällt die Entschleunigung auf vier Rädern. Man bekommt viel mehr mit. Alles ist irgendwie entspannter, ruhiger und friedlicher. An die neue Regel muss ich mich natürlich noch gewöhnen. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass mein Fahrzeug wie von selbst automatisch schneller wird als die vorgeschriebenen 30 km/h.  Wer weiß, vielleicht haben die Autobauer für Geschwindigkeiten unter 30 km/h eine Beschleunigungs-Software eingebaut. Man kennt ja die Auto-Mafia.

Noch einmal das Umweltbundesamt:

In der Praxis wurden bei Messfahrten Reisezeitverluste an Tempo-30-Strecken von 0 bis 4 Sekunden je 100 Meter festgestellt. Dies ist auch bei längeren Abschnitten oder einer Aneinanderreihung von mehreren Regelungen volkswirtschaftlich kaum relevant.

https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/publikationen/wirkungen_von_tempo_30_an_hauptstrassen.pdf

 

Wir müssen uns jetzt nicht mehr so laut anschreien

Tatort Cappenberger Straße. Ein älterer Mann geht mit seinem älteren Hund auf dem Gehweg spazieren. Beide machen einen entspannten Eindruck. Ich spreche zwei Damen an, die im Gespräch vertieft sind und frage, wie auf sie das neue 30er-Tempo wirkt. Ihre Gesichter hellen sich merklich auf und eine von Ihnen sagt:

Wir müssen uns jetzt nicht mehr so laut anschreien, wir können uns ganz normal unterhalten.

Ich beobachte einige Minuten die vorbeifahrenden Autos. Beim Blick ins Wageninnere habe ich den Eindruck, geht es insgesamt lässiger, ruhiger, nicht so gehetzt zu. Niemand hat einen verkniffenen Gesichtsausdruck und Flecken im Gesicht.

Die neue Kom(m)fort Zone auf 10.600 Metern

Die sechs Abschnitte, auf denen Tempo 30 gilt, bin ich abgefahren. Borker Straße (1400 m), Münsterstraße (2100 m), Bebelstraße (2000 m), Viktoriastraße (1100 m), Königsheide (1600 m) und Cappenberger Straße (2400 m). Insgesamt eine Strecke von 10.600 Metern. Tempo 30 ist einfach Gewöhnungssache. In zwei, drei Jahren kräht kein Hahn mehr danach. Die neue Kom(m)fort-Zone: sogar mit 30 km/h kommt man fort.

Stufe IV

In Lünen gibt es 640 Straßen. Auf einem mickrigen Prozent der Straßen müssen wir uns jetzt mit Tempo 30 arrangieren. Diese sechs Abschnitte sind sehr wahrscheinlich erst der Anfang. 2022 wird vermutlich Stufe IV des Lärmaktionsplans gezündet. Weitere Straßen, LKW-Nachtfahrverbote, etc. werden folgen.

Pro Verkehrsfluss Lünen

In Lünen formieren sich gerade die Tempo-30 Gegner. Schleunigst wurde eine Online-Initiative gegründet: Pro Verkehrsfluss Lünen. Ex-Bürgermeister-Kandidat der Freien Wähler, Sascha Gottwald, will sich mit dem, wie er sagt, 30er-Irrsinn beschäftigen. Dem Joshua Kimmich, der Tempo-30-Skeptiker, fehlen vermutlich noch ein paar Langzeitstudien. Man weiß eben noch viel zu wenig über die Nebenwirkungen von Tempo 30. Vielleicht kann man sich gegen Tempo 30 impfen lassen?

Tempo-Trostpflaster von den Grünen

Ein kleines Tempo-Trostpflaster (TTPf) haben wir doch von den Grünen bekommen. Tempo 130 auf der Autobahn ist von der Ampel aus sondiert worden. Stand zwar im Wahlprogramm der Grünen, aber mein Gott, dann muss der Emissionsschutz eben woanders sehen, dass er klarkommt. Gedrucktes Papier ist doch sowieso der Umsetzung aller Laster Anfang. Robert Habeck, Bundesvorsitzender der Grünen, sagte dazu:

Das Tempolimit konnten wir nicht durchsetzen

Tja, so ist das, wenn Philosophen am Verhandlungstisch sitzen. Philosophen kennen Verhandeln eben nur vom Hörensagen.

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Ein Kommentar

  1. God
    3. November 2021
    Antworten

    Ja mit viel Interesse hatte ich schon die Diskussionen gelesen, als dies im Rat beschlossen worden ist. Der Hintergrund soll sein der Lärmschutz und was ist mit den Gassen? Ich habe meinen Kommentar auch schon in den Ruhr Nachrichten gegeben, dieser leider nicht erschienen ist Machen wir doch einfach ein Zaun um die Lüner Strassen und kein soll mehr in Lünen durchfahren bzw. einkaufen. Damit dann Herr Reckers die sogennaten Richtlinen entspricht.

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