Rührei am Attersee

Als Mensch achte ich darauf, artgerecht gehalten zu werden. Ausreichend feste und flüssige Nahrung zu mir nehmen zu können, gehört zu meinen Grundbedürfnissen. Sobald ich die heimische Behausung verlasse, bin ich extrem wachsam, nicht nur wegen Corona. Mein Selbsterhaltungstrieb sagt mir, dass es von Vorteil ist, wenn ich lebend zurückkehre. Sollte ich von Drohnen verfolgt oder beschossen werden, suche ich eiligst in der Nähe liegende Schutzbunker auf. Zu meinen Artgenossen halte ich regelmäßig Kontakt, sowohl zur männlichen, als auch zur weiblichen Gattung. Beim Kommunizieren bevorzuge ich belanglose Gespräche. Mich erfrischt das, denn es lässt mir Raum, meine Gedanken irgendwohin schweifen zu lassen. Kulturell bin ich mittelmäßig interessiert. Dem Wunsch, Reisen zu unternehmen, komme ich ohne Umschweife nach. Apropos Reisen…

Die letzte Reise führt mich nach Österreich. Gebucht war Attersee mit Frühstück. Morgens briet der Chef des Hauses ein göttliches Rührei. Mit Butterschmalz bei exakt 63 Grad. Ein Traum. Fluffigkeit und Geschmack in Vollendung. Harmonischer, Protein verwöhnter, Abgang. Die Eier müssen von ausgewählten Premium-Hühnern gelegt worden sein. Anders kann ich es mir nicht erklären.

Von der Freilandhaltung bis zum Öko-Outdoor-Resort

Wieder zu Hause reifte der Wunsch, gleiches Rührei zu braten. Die Schwierigkeiten beginnen in der heutigen Zeit schon beim Einkauf. Die Produzenten der Rohware, die Hennen, können mittlerweile auswählen, wie sie gehalten werden wollen. In Freilandhaltung mit Panoramablick, in der kuscheligen Kleingruppen-Boutique, in glutenfreier Bodenhaltung oder im elitären, ökologischen Outdoor-Resort mit 5-Sterne-Leiter.

Pikipedia informiert

Da ich nicht auf 08/15-Eier hereinfallen wollte, habe ich mich in diversen Hühner-Fachzirkeln und bei Pikipedia informiert. Hühner mit einem Pass für die Freilandbelegschaft dürfen „buten un binnen“ frei laufen. Es werden vier Quadratmeter Auslauf geboten. Hühnerexperten empfehlen jedoch zehn Quadratmeter je Huhn.

Bodenkolonnen

Die Bodenkolonnen sind da nicht so gut dran. Sie leben in einem geschlossenen System. In diesem Stall dürfen sie sich dafür frei bewegen. Auf bis zu vier Ebenen. Maximal 18 Hennen pro qm Stallgrundfläche darf es bei einer Haltungseinrichtung über mehrere Ebenen sein. Das ist so eng, da gibt es keine „Herumgeeiere“ mehr. Wer hier als Henne unter Platzangst leidet, sollte sich besser um einen Platz in der Ökoabteilung bewerben.

Kleingruppenbrigade

In die Kleingruppenbrigade werden gerne gesellige Hühner berufen. Zum Anforderungsprofil gehören ein gesundes Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen auf engstem Raum. Öko-Hühner, die im Elite-Ensemble dienen und legen, dürfen maximal zu sechst auf einem Quadratmeter Platz nehmen. Ein Vorschlag zur Güte an alle introvertierten Hennen. Auslauf ins Freie ist sogar offiziell vorgeschrieben. Sogar eine Sitzstange von sage und schreibe achtzehn Zentimetern steht jedem Müsli-Huhn zu. Luxus auf der Stange.

Der schlaue Mensch

Leider kam es unter dem Federvieh in der Vergangenheit zu Gerangel. Federpicken und Kannibalismus wusste der schlaue Mensch nur mit Kürzen der Schnäbel zu begegnen. Das ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss und man hat stattdessen das Licht in den Ställen ausgemacht in der Hoffnung, dass die Hühner nicht mehr sehen, wohin sie picken. Eine intelligente Maßnahme, genauso wirkungsvoll, wenn man Menschen nachts die Brille absetzt, damit sie nicht mehr sehen, was sie träumen.

Eine Entscheidung, welches Ei von welchem Huhn, habe ich wegen des unübersichtlichen Angebotes nicht treffen können. Die Auswahl ist einfach riesig. Zudem spüre ich eine gewisse Verantwortung gegenüber den Hühnern. Meine eigene, artgerechte Haltung macht mir schon genug zu schaffen.

Urlaub mit Rührei

Da bleibt mir nur noch eins: Nächstes Jahr mache ich wieder Rühreiurlaub am Attersee.

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