Opa ist cool

Die Enkel waren bei uns. Eine Woche. Wir haben zwei. Um ihre Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte zu wahren, wurden die Vornamen geändert. Sie ist zehn Jahre alt und heißt Leslie. Er ist zwölf und hört auf den Namen Raoul. Die Oma, gleichzeitig die Frau des Opas, wird in diesem Beitrag Marie-Claire genannt.

 

Ebbe und Flut

Wenn Leslie und Raoul bei uns sind, ist es so ähnlich wie bei Ebbe und Flut. Nachts, wenn alles (hoffentlich) schläft, ist Ebbe. Tagsüber wirbeln Leslie und Raoul die Gezeiten durcheinander, dann ist ständig Flut. Sobald Leslie und Raoul angekündigt sind, schmeißt Marie-Claire den Organisationsmotor an. Herzbrötchen und Vanilleeis für Leslie, Feuerbrot und grüne Bananen für Raoul, Fruchtzwerge und Süßigkeiten aller Art für Beide. Joppie-Sauce auf die Pizza. Geflügelwurst mit Fingern.

Bubble-Tea

Seit Neuestem haben wir in der Innenstadt einen Rainbow Bubble-Tea Laden. Mindestens ein Besuch ist Pflicht. Bubble-Tea kommt aus Taiwan und wird hergestellt auf Basis von gesüßtem grünen oder schwarzem Tee, der häufig mit Milch und Fruchtsirup vermischt wird. Es ist extrem lecker, sagen Leslie und Raoul. Findet Opa auch. Marie-Claire verdreht die Augen. Das ganz Besondere sind die Bubble-Tea-Perlen. Die Perlen werden aus Maniok-Stärke hergestellt. Kann man auch selbst machen oder im Supermarkt kaufen.

Leslie

Leslie fragt Marie-Claire und mich, warum wir, aus Ihrer Sicht, eine so große Wohnung haben. Eine plausible Erklärung haben wir nicht. Das ist nicht weiter schlimm, denn hier kann man gut verstecken spielen. Sogar in Schränken. Gott sei Dank haben wir Rollos und so wird die Wohnung auch bei Tageslicht stockfinster. Mit Taschenlampen geht’s auf Suche. Ein einziges Mal gelang mir ein Coup. Da ich aufgrund meiner Größe schlecht in die Schränke passe versteckte ich mich auf dem Küchenbalkon und setzte vorher das elektrische Rollo in Gang. Die Such-Crew hat mich nicht gefunden.

plopp-plopp-plopp-plopp-plopp-plopp

Ich ging mit Leslie einkaufen. Leslie brauchte ein Fidget-Toys pop-it. Laut Hersteller ist Fidget-Toy pop it ideal für alle im Alter von 5 bis 80 Jahren. Mit 71 gehöre ich dieser Zielgruppe an. Man muss die Mausblasen drücken und auf der einen Seite machen die Blasen plopp. Ich habe jetzt eine gewisse Fertigkeit erreicht. Dann machen die Blasen plopp-plopp-plopp-plopp-plopp-plopp. Plopp machen die Blasen auf der guten Seite, auf der anderen, der schlechten Seite, machen sie nichts, sagt Leslie. Pop it hilft auch bei Angst und Stress und fördert logisches Denken. Fidget-Toys sind echt gut für die Umwelt, weil sie aus hochwertigem Kieselgel sind und das ist total ungiftig.

Opa ist cool

Einen Fidget Toy Ball musste ich auch noch haben. Und einen Fidget Toy Schlüsselanhänger. Für Laien sieht der Ball aus wie ein einfacher Gummiball mit Noppen. Das ist aber Quatsch. Es ist ein Fidget Toy Glitzerball, der beim Zudrücken glitzert. Als ich auch noch den Ball kaufte, meinte Leslie in die Familienrunde: Opa ist cool! Der Ball beruhigt und eignet sich besonders für Manager und Chefs, beim Fliegen, im Klassenzimmer und bei Wutanfällen. Einfach den Ball 20 Mal hintereinander drücken, dann wird alles gut.

Raoul

Am Frühstückstisch erhielten wir von Raoul die Information, dass er jetzt erwachsen sei. Das stimmt. Raoul hat recht. Nur ein paar winzige, unbedeutende Details fehlen noch. Als Senior-Erwachsener gebe ich gerne Tipps. Im Grunde genommen geht es um eine Lappalie: den Bartwuchs! Mit fast Zwölf weiß der Bart, dass sein Winterschlaf langsam zu Ende geht, ist aber noch nicht bereit, sich seiner Bestimmung hinzugeben, nämlich zügig zu wachsen. Man kann in diesem Fall ein bisschen nachhelfen. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Man tut einfach so, als wäre schon ein Hauch von Bart vorhanden und rasiert einfach los. Wichtig: Mit Rasierschaum und Klinge funktioniert es besser als mit einem Trockenrasierer. Damit rechnet der Bart natürlich nicht und denkt: Krass, muss ich jetzt schon wachsen? Diese neue Erfahrung speichert der Bart ab und meldet sich fortan alle ein bis zwei Wochen freiwillig zur Nassrasur. So ähnlich war es auch bei mir damals.

Minecraft

Raoul hat eine Fähigkeit, um die ich ihn total beneide. Er gehört zu den Meistern des Computerspiels Minecraft. Man spielt es auf Handys. Im Spiel werden Gebäude erschaffen, oder Schaltkreise, man erkundet ständig irgendwas, kämpft gegen Monster, findet Rohstoffe. Es werden Aufgaben gestellt, und es werden Fortschritte erzielt. Raoul hat eine Gabe, sich dem Spiel total hinzugeben. Marie-Claire und ich könnten übers Wochenende verreisen, er würde es nicht bemerken. Wichtig wäre nur ein Ladekabel. Wenn Raoul von Minecraft erzählt, fühle ich mich ganz klein. Ich verstehe es einfach nicht, noch nicht. Sobald Marie-Claire zu einem Wellness-Wochenende aufbricht bleibe ich zu Hause. Alles, was ich brauche, ist ein Handy und ein Ladekabel.

Memory und Bingo

Es gibt auch Zeiten, da sitzen wir gemeinsam am Tisch und spielen. Memory geht immer. Das ist ein ganz tolles Spiel bei dem immer Leslie oder Raoul gewinnen. Wir haben es vielleicht hundertmal gespielt und hundertmal hab ich verloren. Seit ich jetzt den Fidget Toy Glitzerball habe, bin ich aber nicht mehr deprimiert. Bei Bingo sieht es anders aus. Da gehöre ich manchmal zu den Gewinnern. Es ist auf Zufall und Glück aufgebaut. In einer Trommel liegen Kugeln mit Zahlen und Buchstaben. Da brauche ich meinen Anti-Stressball nicht.

Irgendwann ist auch der längste Tag vorbei und um spätestens 22:00 Uhr ist Bettruhe, sagen Marie-Claire und ein bisschen ich. Das führt bei Leslie und Raoul regelmäßig zu wahren Begeisterungsstürmen. Nach einer Woche waren wir froh, dass Ebbe über uns hereinbrach.

Bereit für die nächste Flut

Leslie und Raoul sind jetzt wieder zu Hause. Marie-Claire und ich haben ein Wellness-Hotel gebucht und uns zwei Tage lang füttern und massieren lassen. Abends liegen wir im Bett und glotzen in die Glotze. Welches Programm ist egal. Wir sind jetzt bereit für die nächste Flut.

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